„Music of life“ is a music&science project developed in 2008 by the Pi-XL group. For the first time the models of cellular automata used in biomathematics are taken to generate an interactive music based on the human voice. This opens up new ways for a performative composition!
The „Music of Life“ functions similar to a laola wave in a stadium with moving sounds from singer to singer. There is neither a director nor a score, but the development is driven by simple local rules how to react on the neighbours. So for this space time related live composition it is relevant to react on and LISTEN to the neighbours in the choir group.
Probe zur Aufführung im Festspielhaus Hellerau anläßlich der CYNETart 2008
Music of life“ ist ein Music&Science-Projekt, das 2008 von der Künstlergruppe Pi-XL entwickelt wurde. Erstmalig werden die in der Biomathematik verwandten Modelle der zellulären Automaten auf Basis der menschlichen Stimme in Musik umgesetzt. Dies eröffnet einen völlig neuen Weg zu einer performativen Kompositionspraxis!
Vergleichbar mit einer sich in einem Stadion ausbreitenden Laola-Welle, bewegen sich Klänge von Sänger zu Sänger. Nicht ein Dirigent oder fertige Notenskripte sind entscheidend für das Entstehen einer sich in Zeit und Raum ausbreitenden live-Komposition, sondern das genaue Interagieren, ZUHÖREN und Reagieren auf den Nachbarn innerhalb der Chorgruppe.
Resultat ist eine Musik, die aufgrund der mathematischen Interaktionsregeln lediglich konzeptionell noch an die anti-expressiven Elemente eines John Cage erinnert, tatsächlich jedoch in der Aufführungspraxis Mathematik zu einem sinnlichen Erlebnis avancieren läßt.
Probesitutation im Sommer 2008 am Institut für Informatik an der TU Dresden
Zelluläre Automaten
Sogenannte „zelluläre Automaten“ sind eine Entdeckung des Mathematikers Stanislav Ulam und des Begründers der mathematischen Spieltheorie, John von Neumann. Der Mathematiker Stephen Wolfram hat wesentlich in den 80er Jahren zu einer Weiterentwicklung dieses Modellansatzes beigetragen. Grundeinheit eines zellulären Automaten sind einzelne Einheiten (die „Zellen“) die in Abhängigkeit von ihren Nachbarzellen nach einer bestimmten Regel (der „Automat“) ihren Zustand in diskreten Zeitschritten verändern (mehr...).
Wie sich Vogelschwärme ohne Dirigent und zentrale Steuerung bewegen oder wie sich einzelne Zellen zum sozialen Organismus einer Amöbe verbinden lassen sich sehr einfach mit diesem Modell beschreiben. Ein legendärer Automat ist das sogenannte „Game of Life“, das der amerikanische Zahlentheoretiker John Conway auf einem simplen Schachbrettmuster in den 1970-er Jahren entwickelt hat. „Music of Life“ ist eine Anspielung an die faszinierende Dynamik amöbenartiger Strukturen, die Conways Lebensspiel entfaltet.
Muster auf einer Seemuschel, dessen Entstehung sich mit einem eindimensional zellulären Automaten beschreiben läßt
Die einfachste Form ist ein eindimensionaler Automat, den man sich wie eine Perlenkette vorstellen kann, bei dem die einzelnen Glieder zwei Zustände einnehmen können. Auch die Laoloa-Welle läßt sich als eine solche Kette verstehen, die nach einer Regel funktioniert: Steht meine linker Nachbar auf, so stehe ich im nächsten Zeitschritt ebenfalls auf. Setzt sich der Nachbar hin, so setzte ich mich im nächsten Zeitschritt ebenfalls hin (Signalausbreitungsregel). Ein einfache Veränderung der Regel kann bereits zu einem völligen neuen Verhalten führen: Steht man nur dann, wenn im vorigen Zeitschritt exakt nur einer der Nachbarn links und rechts gestanden hat, entsteht ein fraktales Muster (Lebensregel).
Music of Life: Wie bei einer Laola-Welle reagieren die Sänger nach einer bestimmten Regel auf den Zustand (singt/singt nicht) der Nachbarsänger.
"Music of Life" arbeitet genau mit diesen einfachen Regeln, indem die Akteure nicht nur auf die Körperhaltung reagieren, sondern auch darauf, ob die Nachbarn sich akkustisch, z.B. durch Singen oder Steineklopfen bemerkbar machen. Sowohl der performative Ansatz als auch das resultierende gezielte Arbeiten mit raumzeitlichen Strukturen unterscheidet "Music of Life" von bisherigen auf zellulären Automaten basierenden Kompostionsansätzen, die das Prinzip mehr oder weniger als aleatorisch generatives Prinzipt verwandt hatten (Beispiele).
Die Idee für „Music of Life“ entwickelte sich anläßlich eines Artist in Residence - Aufenthaltes von Tim Otto Roth im September 2007 am ZIH der TU Dresden. Zusammen mit Andreas Deutsch diskutierte er dort auch die Frage, inwiefern sich die in der Abteilung „Innovative Methoden des Computing“ verwandten Modelle der zellulären Automatenz auch akkustisch in ihrer raumzeitlichen Entwicklung darstellen lassen. Zuvor hatte er bereits die Idee für das Stück Verschränkung entwickelt, bei dem Streicher durch langsame glissandi einen raumzeitlich oszillierenden Klangteppich weben. Er arbeitete das Kompositionskonzept für Instrumentalisten aus und nutzte seine beiden Vorträge in Dresden für erste Feldversuche mit humanen Akteuren. In diesen Performances verwandelte sich das Publikum durch Aufstehen und Hinsetzen in einen sich bewegenden zellulären Automaten.
Maritta Seifert regte dies zu der Idee an, daß man das Kompositionsprinzip ohne weiteres auch auf die menschliche Stimme anwenden könnte und schlug ein gemeinsamens Chorprojekt vor. Die Musikologin und Sängerin war schließlich wesentlicher Motor, das Projekt auch in die Tat umzusetzen. Der Musiker und Komponist Hartmut Dorschner komplementiert schließlich das Projektteam zu einem interdisziplinären Quartett: Pi-XL.
erster Feldversuch von Tim Otto Roth mit humanen Akteuren im Herbst 2007: Performance am Max-Planck-Insitut für Zellbiologie & Molekulare Genetik
Vorgeschichte
Bereits seit einigen Jahren besteht die Art & Science Kooperation zwischen der Biomodellinggruppe an der TU-Dresden um Andreas Deutsch und dem Medienkünstler Tim Otto Roth. 2005 wurde mit „Pixelsex“ ein auf zellulären Automaten basierendes Modell von Myxobakterien in near realtime via Internet an die weltweit größte Medienfassade, der 80 Meter hohen Lichtwand des von Renzo Piano erbauten KPN Telekom Towers in Rotterdam übertragen (www.pixelsex.org).
Obgleich "Music of Life" auf ähnliche Prinzipien zurückgreift, setzt der akkustische Ansatz durch die Einbeziehung menschlicher Akteure gänzlich neue Akzente. Das musikalische Resultat ist nicht nur Ergebnis einer gemeinsamen kompositorischen Entwicklung der vier Mitglieder von Pi-XL, sondern auch des intensiven Austausches und Experimentierens mit dem Projektchor.
erste Art & Science Kooperation: Pixelsex in Rotterdam, 2005